
Studio Visit: Clemens Hollerer
Heilsames Thermalwasser und eine malerische Landschaft – so präsentiert sich die südoststeirische Gemeinde Bad Gleichenberg ihren Besucher:innen. In einem sanierten Bauernhof wird derweil an der urbanen Dekonstruktion gearbeitet. Es handelt sich um das Zuhause und das Atelier des Steirers Clemens Hollerer (*1975).
In meinem Atelier wird gerade auf Hochtouren lackiert. Aktuell arbeite ich gerade an einer neuen, großen Serie von 24 monochromen Malereien auf ausrangierten Solarpaneelen. Das wird spannend – so viel kann ich bereits jetzt versprechen.
Deine künstlerische Arbeit beleuchtet die Veränderung in all ihren Formen ebenso Menschen und deren Verhaltensmuster in urbanen Zonen.
Mein Interesse gilt primär verschiedener Konstruktions- und Transformationsprozesse, sowie der Zerstörung in all ihren Formen. Menschen und deren Verhalten interessieren mich vorwiegend in Metropolen, wo Massen auf Hindernisse und Barrikaden unterschiedlichster Art treffen. Dies beleuchte ich in Form von Fotografien und Videos. Architektur im Wandel ist ebenso ein Thema, sowie der Mensch und diverses Material im Verfall. Im November 2024 war ich Artist-in Residence in der Fondation CAB in Brüssel. Dort habe ich ein neues Projekt namens „Mysterons“ begonnen, bei dem ich Abgüsse von Kanaldeckeln genommen habe. Details in Form von Mustern, Zahlen und Codes wurden in der Folge zu Stempeln verarbeitet. Eine umfangreiche Serie von Arbeiten auf Papier und Aluminium ist daraus resultiert. Einfache Umformulierungen mit einer bemerkenswerten sinnlichen und formalen Präsenz.

Fotos © Clemens Hollerer
Für deine Recherchen bzw. die Grundlagen deiner skulpturalen und installativen Arbeiten beobachtest du Transformationsprozesse, fotografierst und reagierst auf Raum und Situationen – auf eine Menschenmenge in Tokio ebenso wie auf zerfallene Gebäude nach einer Naturkatastrophe.
Katastrophen wie Tsunamis, Flugzeugabstürze, Kran- oder Zugunglücke haben trotz ihrer Tragik auch magische Komponenten. Neue, vielmals unerwartete Situationen und Konstruktionen ergeben sich dadurch und liefern erstaunliches Material für meine Recherchen. Diese bilden Vorlagen – in Form von Fotos – in all meinen künstlerischen Genres, transformiert zu Werken in meiner eigenen Bildsprache.
Wobei du von der künstlerischen Fotografie mittlerweile Abstand genommen hast. Mittlerweile dient dir die Kamera mehr als Dokumentationsmedium – dabei hat deine künstlerische Laufbahn mit der Fotografie begonnen.
Das stimmt. Eine der ersten prägenden Ausstellungen war die von Peter Lindbergh in Wien – reduzierte, ästhetische Schwarz-Weiß-Modefotografie. 1992 war ich dann Austauschschüler in Pittsburgh/USA und belegte dort einen Fotografie-Kurs. Eigentlich ein kleiner Schritt in Richtung Kreativität, aber einer mit großen Folgen. Zurück in Österreich und auf zahlreichen Folgereisen in die USA habe ich dann intensiv weiterfotografiert, zunächst noch analog. Architektur und Menschen standen damals im Fokus.

Fotos © Clemens Hollerer
Wobei dein Fokus damals nicht nur auf die Kunst ausgerichtet war – parallel hast du eine touristische Ausbildung absolviert.
Das Tourismus-Kolleg in Bad Gleichenberg war eher eine Notlösung (schmunzelt). Nach der Matura wusste ich nicht genau, was ich machen wollte, und ein Kunststudium stand damals nicht auf meinem Radar. Ich arbeitete in Restaurants in Österreich und der Schweiz, besuchte aber auch berufsbegleitend die Prager Fotoschule für künstlerische Fotografie in Oberösterreich. Zu dieser Zeit begann ich bereits mit der Manipulation von Fotos, Dias und Polaroids – Zerkratzen, Anzünden, Zerreißen. Ich suchte nach den Grenzen des Mediums.
2003 hast du dann in Graz mit Wandmalereien im öffentlichen Raum begonnen. Drei Jahre später während eines Studiums am Higher Institute for Fine Arts (HISK) in Antwerpen entstanden erste, raumbezogene Installationen und Skulpturen. Wie bist du von der Fotografie zu diesen Kunstformen gekommen?
Der größte Sprung passierte in Antwerpen, in Belgien. Dort bekam ich zwei Jahre lang ein Atelier und konnte frei experimentieren. Das war für mich der eigentliche Startschuss als Künstler. Grundsätzlich an der Frage des Raumes und seiner Veränderung interessiert, beschäftigte ich mich mit der Psychologie von Baustellen und urbanen Strukturen. Collagen auf Papier, erste Skulpturen und aufwändige Installationen entstanden. In dieser Zeit begann ich im Zuge von Ausstellungen und Projekten noch intensiver die Welt zu bereisen.

Fotos © Clemens Hollerer
Danach folgten zahlreiche internationale, installative Großprojekte, wie zum Beispiel „How to disappear completely“ im Palazzo Papadopoli in Venedig oder „Coming back to life“ im französischen Vienne. Stets geht es um Veränderung und Chaos, das doch irgendwie geordnet erscheint …
Akkumulation und Reduktion – zwei spannende Kontrahenten, die mich oft begleiten. Trotzdem schlägt mein Herz vorwiegend für minimalistische Lösungen. Es ist kein Wunder, dass meine wichtigsten künstlerischen Referenzen aus der US-amerikanischen Minimal Art der 1960er-Jahre oder von dem deutschen Künstler Blinky Palermo stammen. Weiters verfolge ich seit vielen Jahren das Schaffen einiger, vorwiegend japanischer Architekten, die alle auch eine reduzierte Formgestaltung zum Ausdruck bringen.
„The birth and death of the day” oder „Blessed Burden” – oft sind deine Arbeiten von den Songs rebellischer Bands inspiriert. Du bezeichnest dich selbst auch gerne als „Music Fanatic“.
Absolut! Seit rund 15 Jahren tragen alle meine Werke auch Titel von Songs. Meine Installation „Jigsaw falling into place“, im Grazer Grand Hotel Wieser, ist etwa nach einem Song von Radiohead benannt. Musik zählt seit Beginn der 90er-Jahren zu den wichtigsten Dingen in meinem Leben – breit gefächert von Klassik bis Post-Hardcore. Emotional folgen auf aggressive Passagen plötzlich ruhige – meine Kunst funktioniert teilweise ähnlich mit eben solchen Überraschungsmomenten und brachialen Elementen.
Was bedeutet #jungbleiben für dich?
Jung bleiben bedeutet für mich, die Unbekümmertheit der Kindheit zu bewahren. Kinder handeln spontan, ohne sich um Konventionen zu kümmern. Das versuche ich auch in meiner Kunst. Ich lebe zudem weitgehend außerhalb der gesellschaftlichen Zwänge, ohne Zeit- oder Leistungsdruck. Für mich ist es demzufolge normal, mit fast 50 Jahren noch BMX zu fahren oder auf Konzerten in die Menge zu springen. Viele gestresste Menschen suchen in ihrer Freizeit genau das, was mein Leben als Künstler ausmacht: Freiheit und Reduktion auf das Wesentliche.
Fotos: © by the artist
Interview: Andreas Maurer